Ein „asozialer Deutscher“ zu Gast am AKBK

02.05.2023 - Allgemein

Wo sind meine Wurzeln? Wie war das Leben meiner Eltern wirklich? Gibt es vielleicht etwas, was ich über meine Vergangenheit noch nicht weiß? Das sind Fragen, mit denen sich unser Gast, Alfons Ludwig Ims, beschäftigt hat als er sich dazu entschied Ahnenforschung zu betreiben. Sein Fazit: „ich bin ein ‚asozialer‘ Deutscher“.


Bevor man diese Aussage aufklären kann, benötigt man vorab einige Hintergrundinformationen zu Alfons Ludwig Ims. Er ist 1949 in Kaiserslautern-Kalkofen geboren, also kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Kaiserlautern-Kalkofen war und ist ein Stadtteil, den man heute als einen „sozialen Brennpunkt“ bezeichnen würde. Zudem war sein Vater 1923-1924 für kurze Zeit pfälzischer Separatist (in dem Jahr gab es in der Pfalz eine Bewegung, die eine autonome Pfalz forderte). Die sozial schwache Herkunft der Familie und die kurzzeitige Zugehörigkeit zu einer politischen Bewegung des Vaters reichten aus, dass die Familie Ims in der NS-Zeit nach der rassenhygienischen Ideologie als „asoziale Volksscha?dlinge, moralisch minderwertig und angeboren schwachsinnig” behandelt wurde.


Was die Folgen dieser ideologischen Kategorisierung waren, stellte Alfons Ludwig Ims am Mittwoch, den 19.04.2023, bei seiner Lesung in unserem TV-Studio vor. Angefangen bei strenger staatlicher Kontrolle der Einhaltung der elterlichen Fürsorgepflicht und Kürzungen von Kinderbeihilfe (vergleichbar mit dem heutigen Kindergeld) durch die ideologische Einordnung als „asozial und moralisch minderwertig“, wurde die erste Frau seines Vaters durch den Staat zwangssterilisiert und seine Geschwister in einer Fürsorgeanstalt untergebracht, aus dessen Gutachten in den Recherchen von Herrn Ims hervorging, dass seine Geschwister teilweise als „Grenzfälle der Euthanasie“ beschrieben wurden.


Nachdem die erste Frau von Herrn Ims Vater verstarb, lernte sein Vater seine Mutter bei der Arbeit auf einem Weingut kennen. Herr Ims Vater arbeitete dort als Knecht. Seine Mutter als Magd, auch sie lebte unter ständiger Angst vor den Nazis, da sie ein zugewachsenes Ohr und einen schiefen Mund hatte. 1944 heirateten die beiden und 1949 wurde Alfons Ludwig Ims geboren. Alles, was in den Jahren danach passierte, ist wahrscheinlich als eine Art Liebeserklärung an die Achtung der Würde des Menschen zu betrachten. Das Wesen seiner Mutter war geprägt von Verantwortungsbewusstsein, Rechtschaffenheit, Selbstachtung, Sauberkeit und Fürsorge und sie schaffte es die Familie 6,5 Jahre nach dem Ende des Tausendjährigen Reichs nach und nach wieder zu vereinen und alle Geschwister von Herrn Ims aus der Fürsorgeanstalt zurück in das familiäre Umfeld zu bringen.


Diese bewegende Geschichte eines Zweitzeugens durften die Klassen G11-A1, G12-A1, G12-F1, PK-1, ELI-M1 persönlich erfahren und mit Lesebeiträgen begleiten. Anschließend lud Herrn Ims die Schülerinnen und Schüler noch zu einer Diskussionsrunde ein, um offene Fragen an ihn klären zu können. Wir sind stolz und dankbar, dass wir als Mitglied des Netzwerkes Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage den Zugang zu solchen individuellen Geschichten haben und vergangenen politischen Realitäten ein Gesicht und Emotionen geben zu können. Die gelungene Organisation der Lesung wurde von Moghan Sultanie, Politiklehrerin und Leiterin des Team Integration, und Georg Mühle, Geschichtslehrer, durchgeführt. Vielen Dank!